36°C und dann noch Hausbesuch

gehen wie auf Wolken
Podologie -
Christian Ball
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36°C und dann noch Hausbesuch

Praxis für Podologie in Bamberg
Veröffentlicht von Carmen Ball in Podo-Arbeit · 12 August 2018
Tags: HausbesuchHitzeDemenz
Hausbesuch
Ein Tag bei 36°C

Früh, so früh wie möglich los, damit es noch nicht sooo heiß ist. Um 7.30 Uhr sind 23°C.
Das wird ein langer Tag

Um es einfacher zu machen, nenne ich die Personen bei fiktiven Vornamen.
Ins Auto einpacken um 7.00 Uhr: den Koffer mit dem Motor und Kleinkram wie 4 Sorten Desinfektionsmittel, Pflegecreme, Verbandstoffe und einige Kleinigkeiten. Dann noch eine Sporttasche mit Fußstütze, Verlängerungskabel, Handschuhbox, Mundschutz, Schreibzeug, Quittungen. Dann noch das Claxmobil – ein zusammenfaltbarer Wagen, um alles in den Heimen zu transportieren. Dazu kommt dann noch ein großer Korb mit Instrumenten und Abwurfbehältern für die benutzen Dinge. Karteikarten nicht vergessen.

Und ganz wichtig: Kühltasche mit Wasser!

Nach 3x hin und her laufen ist alles drin und los geht der Tag. Ziel ist es um 7.30 Uhr im ersten Heim anzukommen. Geplant sind 2 Heime.
Ankunft im ersten Heim. Alles wieder aus dem Auto rausräumen. Im Schwesternzimmer melden. Ich brauche 4 HMV. Das Heim weiß Bescheid, ich hab ja vor 10 Tagen ein Fax geschickt und mich angemeldet. Nicht viel Sucherei und die Schwester hat gefunden was ich brauche. Kurz klären, ob alle anwesend sind oder im Krankenhaus oder auch verstorben. Ist jemand neu? Gab oder gibt es Probleme? Dann los.

Die Bewohner sind teilweise grad beim Aufstehen oder schon beim Frühstück. Diese Zeit möchte ich ausnutzen und mich um bettlägerige Patienten kümmern.

Die erste ist Erika. Nagelschnitt – Sie bekommt nichts mit. Die Demenz ist so weit fortgeschritten, dass Sie am Leben nicht mehr teilnehmen kann. Sie liegt ruhig im Bett. Handtuch holen, unter die Füße legen, desinfizieren. Ich in die Handschuhe – das ist ein Problem, ich schwitze. In den Räumen sind über 25°C. Ich trage lange Hosen, geschlossene Schuhe mit Strümpfen und ein T-Shirt. Aber egal, da muss ich durch. In vorgebeugter Haltung versuche ich jetzt die Nägel zu schneiden und zu beschleifen. Das geht auf den Rücken. Ich kann zwar das Bett hochfahren, jedoch muss ich mich so vorbeugen, dass mein Oberkörper einen 45° Grad Winkel halten muss bis ich fertig bin. Abstützen geht leider nicht. Erika reagiert nicht – nicht auf meine Ansprache und nicht auf meine Berührung. Zum Abschluß noch die Füße eincremen. Bett wieder runterfahren, damit nichts passiert, auch wenn Sie sich nicht selbständig bewegen kann.

Schnell den Koffer desinfizieren. Im Bad kaltes Wasser über die Hände laufen lassen. Mir selber läuft das Wasser den Rücken lang. Dann zu Uschi.
Uschi ist auch Demenz. Leider die Form, bei der die Patienten aggressiv werden. Als ich bei Ihr im Zimmer stehe beschließe ich Uschi später zu behandeln. Sie hat sich in der Nacht gedreht und liegt mit den Füßen an der Wand. Da, wo sonst der Kopf liegt. Allen drehen ist nicht drin. Weder, dass ich das kann, noch werde ich die Verantwortung übernehmen.

Jetzt fällt mir Kunigunde ein. Die sitzt noch nicht am Frühstückstisch. Beim letzten mal hat sie mich ewig warten lassen. Sie möchte kleine Machtspielchen ausüben 😊. Frühstück ewig in die Länge ziehen, Toilettengang, obwohl nichts kommt. Sie sitzt lieber 1 Stunde auf dem Klo, bevor Sie sich behandeln lässt. Diesmal will ich sehen, ob sie noch im Bett ist. Dann kann Sie mir nicht aus. Glück gehabt, es klappt. Jetzt genauso wie bei Erika. Nur, dass wir uns unterhalten können. Ich schwitze, die Brille rutscht.

Jetzt sind einige mit Frühstück fertig. Also dem Patienten Bescheid geben. Dann meine Sachen ins Zimmer räumen. Patient aus dem Frühstücksraum holen in Sessel oder Rollstuhl so platzieren, dass ich gegenüber Platz nehmen kann.

Erst Renate. Rollator – langsam – sehr nett. Die Füße sind schon früh massiv geschwollen. Rollnägel. So sehr eingedreht, dass sie unten schon wieder zusammentreffen. Ganz vorsichtig arbeiten. Geschafft. Renate bleibt im Zimmer uns schaut TV.

Jetzt der Karl. Karl sitzt im Rollstuhl. Massive Durchblutungsstörung. Beim letzten Mal habe ich unter dem Großzehnagel ein Druckgeschwür (Ulkus) gefunden. Der Arzt hat sich seitdem darum gekümmert. Der Zeh ist eingebunden. Nach 5 Wochen nicht verheilt. Ich kümmer mich um den nichtverbundenen Teil der Füße.

Jetzt die Gisela. Gisela ist neu. Sie liegt im Bett, weil sie nicht aufstehen möchte. Sie könnte schon, wenn sie nur wollte. Die Fußpflege ist einfach, Sie war vorher schon immer bei einer Kollegin und somit sind die Füße mit einer guten Grundpflege. Nur wieder mein Rücken. Gisela wird noch zeitaufwändig. Der Arzt hat das falsche Formular benutzt um für die Verordnung der Behandlung. Er weigert sich das Rezept gültig auszustellen. Das muss Gisela jetzt privat bezahlen. Auch ein Gespräch mit Arzt und Krankenkasse ändert das nicht.

Zurück zu Uschi. Sie liegt jetzt richtig rum. Ich kann arbeiten. Wieder 45° Winkel. Uschi zieht die Beine weg. Uschi schimpft. Uschi will Ihre Ruhe. Ich mach das Nötigste. Nur beim Eincremen wird sie ganz ruhig. Das gefällt ihr.  Ganz wichtig ist, das Bett wieder runterzufahren. Vor dem Bett liegt eine Matratze auf dem Boden. Uschi fällt öfter aus dem Bett. Trotz Bettgitter.

Meine Wasserflasche ist leer, die Brille braucht einen Haken auf der Nase. Sie ist nur am Rutschen. Das Wasser läuft mir aus den Handschuhen.
Jetzt ins Obergeschoss.

Hier geht es von vorn los, nur, dass keiner mehr im Bett liegt. Also laufe ich von Zimmer zu Zimmer. Ich suche meine Patienten. 2 sind im Untergeschoß bei der Beschäftigung. Eine Schwester und ich fahren gemeinsam runter und holen die Beiden. Die kennen mich und freuen sich mich zu sehen. Ein kleines Gespräch entwickelt sich bei der Behandlung. Heinz erzählt, dass er am letzten Samstag ein Bier auf dem Fest in der Stadt getrunken hat. Er war richtig glücklich über den Tag und hat mir das immer wieder gesagt. Gertrud hingegen hat ständig Angst, dass sie ja kein Geld hat um mich zu bezahlen. Immer, wenn ich Ihr sage, dass die Krankenkasse dafür aufkommt freut sie sich und hat es jedoch im selben Moment wieder vergessen. So geht ein endloses Gespräch im Kreis und ich erzähle ihr bestimmt 10x, dass die Krankenkasse zahlt.

Dann noch Erika. Vor vielen Jahren habe ich in einem anderen Beruf mal mit Erika gemeinsam im Büro gearbeitet. Sie erkennt mich nicht mehr. Sie weiß nicht, wo sie sich befindet. Sie darf keinen Moment allein bleiben. Fluchtgefahr. Erika ist auch dement. Wir hören immer wieder mal Aufrufe im Radio, dass ein Senior gesucht wird, der sich verlaufen hat. Erika wäre so ein Fall. Also abholen und am Ende bei der Schwester wieder abliefern.

Jetzt noch alle Karten beschriften. Von den Schwestern die Rezepte unterschreiben lassen. Kurz für deren Dokumentation berichten, ob was los war (alles OK)
Dann noch in der Verwaltung meine Datenschutzerklärungen abholen, diese sind entweder von den Kindern, welche die Betreuung haben oder einem gesetzlichen Vertreter unterzeichnet.

Meine 2 Flaschen Wasser sind inzwischen leer. Hier im Dorf gibt es einen Discounter. Da bekomme ich eiskalte Cola und eine Laugenstange. Das ist mein Mittagessen während ich zum nächsten Heim fahre.

Hier wiederholt sich das Geschehen vom Vormittag. Anna, Bertha, Sofie, Marie, Herbert, Carola, Barbara, Helga und Sonja. Der Unterschied ist, dass ich im Bad und nicht im Zimmer arbeite. 2 Stühle aus dem Aufenthaltsraum holen. Toilettenstühle wegräumen. Fenster auf. Die Leute ranholen und wieder zurückbringen. Alles ist dabei. Lustige, schwer zu Verstehende nach Schlaganfall, Traurige, Hypersensibele, Austretende, Schimpfende. Heute waren alle etwas besser drauf. Es gab Eis. Für die Bewohner, nicht für mich.

Als ich hier fertig bin ist es 17.00 Uhr. Nach 10 Stunden tun mir die Füße weh, mein Kopf schwirrt. Mir ist heiß. Ich fühle mich wie ausgewrungen. Ich habe Hunger und Durst.

Jetzt nur noch die Instrumente reinigen, desinfizieren, eintüten und sterilisieren. Die fertigen Rezepte abrechnen. Das Älteste ist vom Januar 18.
Jetzt endlich Duschen. Was zu essen machen. Um 20.00 Uhr bin ich dann totmüde auf dem Sofa. Jetzt endlich ein Eis. Morgen um 6.00 Uhr klingelt der Wecker.



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